Es ist geschafft! Der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub überlebt – morgen startet der zweiwöchige Urlaub! Heutzutage sind oftmals die letzte Arbeitswoche und vor allem der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub besonders anstrengend. Man muss vorausdenken, vorarbeiten, an die Urlaubsvertretung übergeben und alle möglichen Eventualitäten während der eigenen Abwesenheit vorausahnen und im vorauseilenden Gehorsam für deren Lösungen zu sorgen. Überall dort, wo mit dem externen Kunden zusammengearbeitet wird, hat auch bei Abwesenheit alles wie am Schnürchen zu laufen.

Das Ego nährt sich vom Gefühl gebraucht zu werden und unabkömmlich zu sein

Das ist anspruchsvoll und zeitweilig auch stressig. Aber es sind auch intensive Signale von dem Gefühl gebraucht zu werden und unabkömmlich zu sein. Hand aufs Herz – Ist es wirklich erstrebenswert, auf Urlaub zu sein und keinem fällt auf, dass man zwei Wochen abwesend war? Keiner hat bemerkt, weder intern noch extern, dass der Arbeitsplatz verwaist war? Wir wollen im Regelfall als Person und mit unserer Leistung gefragt sein. Unser Ego nährt sich davon, in der eigenen kleinen Welt einen Superstar-Status zu haben. Wir wollen Jubelrufe, den roten Teppich und Kameraklickgeräusche. Das gibt unserem Leben Inhalt und unserem Streben Sinn. Was aber, wenn wir davon nicht genug kriegen können? Wenn wir uns und unser Umfeld derart überlistet haben, dass wir tatsächlich als Person dauerhaft unabkömmlich sind. Entweder, weil wir unser Wissen und unsere Erfahrung nicht kontinuierlich weitergegeben haben oder, weil wir unsere Verantwortung und Kompetenzen nicht teilen. Dann schaffen wir uns eine künstliche Starwelt mit dem „ohne uns geht gar nichts“-Gesetz.

Unternehmen dürfen das nicht zulassen. Sie dürfen nicht vom Wissen Einzelner dermaßen abhängig werden, dass sie erpressbar sind. Das gefährdet das Wohl und den Erfolg der ganzen Organisation. Es gilt dem Einzelnen Respekt und Anerkennung für seine Leistung zu zollen und gleichzeitig auf vernünftige Vertretungsregelungen zu sorgen. Alle, die sich da nicht einfügen können, stellen mittelfristig durch ihren Ausfall ein zu hohes Risiko dar. Das ist in Zeiten sehr stark limitierter Ressourcen eine besondere Herausforderung. Bleibt nur zu hoffen, dass zukünftig bei der Ressourcenbemessung mehr und mehr auch das Risiko der Abhängigkeit mit in den Bewertungsansatz genommen wird.

Vertretungsregelungen können zum erfüllten Leben führen

Es ist heilsam, wenn das Arbeitsumfeld Allmächtigkeitsgefühle durch Unabkömmlichkeit beim Einzelnen gar nicht aufkommen lässt, weil bspw. Standards, Prozesse oder vernünftige Vertretungsregelungen existieren. Dadurch ist man abkömmlich und läuft weniger Gefahr, den eigenen sozialen und persönlichen Lebensbereich zu vernachlässigen. Man wird dadurch angehalten, sich auf mehrere Standbeine zu stellen: Wenn die Arbeit alleine nicht raum- und zeitfüllend ist, dann wird man eher über Familie und Vereinsarbeit seine Sozialkontakte fördern. Dadurch kann man auf eine vielschichtigere und gesündere Art und Weise sich „gebraucht“ und „wichtig“ fühlen. Weniger auf Kosten anderer, sondern mehr aufgrund der eigenen unverwechselbaren Persönlichkeit mit ihren ganz besonderen Talenten und Vorzügen. Das führt im Idealfall dazu, dass man seinen wahren Platz im Leben findet und damit ein erfülltes Leben führen kann.

Doch wie weiß man denn, ob man sich punkto Unabkömmlichkeit in der Arbeit in Balance oder Inbalance befindet? Ganz einfach: Während des ersten Urlaubstages: Kann man ihn aus vollen Zügen genießen? Weiß man mit sich und seiner Familie etwas anzufangen? Ist man bereit für gemeinsame Unternehmungen? Will man nur selbst bestimmen oder ist man in der Lage sich ein- und unterzuordnen? Erlaubt man sich beim Frühstück sitzen zu bleiben, um verwundert zu bemerken, dass sich bereits die Mittagszeit eingestellt hat? Kann man süßem Nichtstun fröhnen? Stellt sich Heiterkeit und Leichtigkeit ein? All diese Fragen mit Ja zu beantworten ist ein Zeichen für eine reife, ausbalancierte Persönlichkeit.

Im Urlaub abzuschalten ist nötig, um zu regenerieren und zu verarbeiten

Oftmals hat man jedoch mit dem Übergang von der Arbeit in den Urlaub seine Schwierigkeiten: Gestern noch auf der Bühne der Arbeitswelt unabkömmlich – heute auf der Bühne des Lebens vergleichsweise unbedeutend. Das ist schwer auszuhalten. Also macht man mehr vom selben und gestaltet sich Arbeitsurlaube durch Sport, Freizeit-Terminen, Aktivitäten in Haus und Garten (Umbauten miteingeschlossen) oder durch ununterbrochene Fortführung von beruflichen E-Mails und Telefonaten. Ein Regenerieren und Abschalten wird erfolgreich verhindert. Dies wäre aber notwendig, um Gefühle und Eindrücke der letzten Arbeitsmonate ein für allemal verarbeiten und einordnen zu können. Und unser natürlicher Lebesfluss ist zyklisch: Tag und Nacht – Sommer, Herbst, Winter, Frühling – Einatmen und Ausatmen! Urlaub soll Ausatmen bedeuten – das heißt sich auf sich selbst besinnen. Seinen eigenen Rhythmus finden. Sich selbst begegnen. Nichts tun. Seele baumeln lassen.

Und wenn sich das so gar nicht einstellt oder die Ruhe nach dem Arbeitssturm sogar unrund macht, dann kann Coaching unterstützen. Dabei geht man auf persönliche Entdeckungsreise, kommt seinen eigenen Hindernissen auf die Schliche und kann sie in Folge über ein balanciertes Selbstkonzept ausgleichen. Danach ist Unabkömmlichkeit im Beruf kein attraktives Ziel mehr, sondern das Erlebnis, Teil eines gut funktionierenden Ganzes zu sein rückt in den Vordergrund. Und Nichtstun im Urlaub wird als Quelle der Regeneration erlebt – und Sight Seeing und Gipfelstürmererlebnisse können gelassen versäumt werden.

Hinweis: Bei personenbezogenen Bezeichnungen wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Bezeichnung gewählt.