Was haben Jazz und Leadership gemeinsam? Auf den ersten Blick könnte man meinen, gar nichts! “Was sollte das beim Führen nützen, wenn man ein Instrument spielen kann”? könnte die alles vernichtende Frage sein, um die ausgefallene Idee im Keim zu ersticken. Und außerdem geht es doch beim Führen eher darum, wie ein Dirigent zu agieren, der ein Orchester “führt”. Dieser Einwand ist für die Diskussion schon fruchtbarer! Ein kleiner Exkurs in die Führungswelt der Musiker:

Führen eines klassischen Orchesters

Der Dirigent eines klassischen Orchesters gibt detailliert (je nach Persönlichkeit, ganz detailliert) vor, wie die einzelnen Instrumente/Musiker das Stück zu spielen haben. Nicht nur musikalisch richtig, sondern auch im Sinne seiner ganz persönlichen Interpretation. Dieses Dirigenten-“Führungsverhalten” ist als Metapher bestens für traditionelles Führungsverhalten geeignet! “Einer sagt an, die anderen spielen” – keine Freiräume, keine Gestaltungsmöglichkeiten!, kein Mitspracherecht!:„Tut einfach nur, was von Euch erwartet wird“!

Der Weg und das Ziel sind exakt vorgegeben, sogar die Wünsche und Erwartungen des Publikums bleiben außen vor! Diese Metapher eignet sich daher, um das seit langem praktizierte, sehr prozessorientiert Führen der Fließbandarbeit in der Produktion zu beschreiben, das anhaltend und variantenlos keinen Sinn für die Betroffenen und den Kunden macht!

Führen einer Jazzband

Hier führen grundsätzliche Strukturen! Zum einen durch Jazz Standards. Das sind Musikstücke, die weltweit jeder Jazzmusiker kennt und in der Lage ist, aus dem Stegreif mit der eigenen Note zu spielen. Zum anderen durch die Regeln, die in Jazzstücken vorgesehen sind und von allen Bandmitglieder beachtet werden: sie sehen ein Wechseln der Führung einzelner Instrumente vor, die kombiniert mit Wiederholungen, Variationen und Solis ein scheinbar zufälliges Miteinander ergeben! Tatsächlich liegt hinter dieser Leichtigkeit ein sehr konzeptionelles Abfolgen vorgegebener und abgestimmter Rahmenbedingungen und -vereinbarungen. Individualität findet Berücksichtigung, in dem der persönliche Moment jedes Musikers seinen Raum erhält. Entweder weil einzelne Kurzpassagen die Möglichkeit bieten, das eigene virtuose Können auf den Punkt komprimiert zu zeigen. Oder durch musikalische Solomomente, die im Rahmen der Komposition – je nach persönlichem Können und Stimmung – ausgeführt werden und einladen, zum musikalischen Höhepunkt für alle Beteiligtenzu werden: für den Solisten, seine Bandmitglieder und die Zuhörerschaft!

Eine Bandleader für alle

Somit ist auch der letzte wichtige Puzzlestein im Blickfeld, das Publikum, zu dessen Freude qualitativ höchsten Musikgenuss die Band ausgerichtet ist. In diesem virtuosen Miteinander der Band gibt es trotzdem einen Bandleader! Er ist oftmals der zentrale Ansprechpartner für den Auftraggeber, ist verantwortlich für den zeitlichen Ablauf und die Auswahl der Musikstücke, fungiert als der Prozessverantwortlicher für die Dauer der Veranstaltung sowie den musikalischen Erfolg beim Auftraggeber und Publikum. Selbstredend, dass vom Bandleader für alles, was im außen vereinbart wurde, im innen das Commitment der übrigen Bandmitglieder braucht. Im Zweifelsfalle entscheidet der Bandleader, da auch er die Verantwortung für die getroffenen Vereinbarungen mit dem Auftraggeber trägt!

Nun zu Wiederholung der Frage: Was haben Jazz und zeitgemäßes Führen in privatwirtschaftlichen Organisationen gemeinsam?

Struktur führt!

Der wesentliche Unterschied zur Führung über persönliche Allmacht/Funktionsmacht liegt im Führen über Struktur, die Regeln, Normen, Vereinbarungen, Abläufe, Zuständigkeiten etc. umfassen. Allseits bekannte, transparente Rahmenbedingungen und Regeln, die, entgegen persönlichem Machtstreben, der Erreichung vielschichtiger Ziele dienen: wirtschaftliches Überleben, erfüllen zielgruppenadäquater Wünsche/Erwartungen, handwerkliche Virtuosität (bei Dienstleistungen) oder bestmögliche Qualität der Produkte je nach eingesetztem Material.

Standards sichern Effizienz

Kernformate und -modelle, die jeder kennt und deren Abfolge “im Traum” erfüllt werden können. Das können innerbetriebliche Standards sein, die ausgearbeitet und festgelegt werden bspw. ISO Zertifizierungen, Workflows, standardisierte Vorgehen aller Art. Oder außerbetriebliche Modelle, deren Grundidee übernommen wird und die eventuell auf den individuellen Bedarf zugeschnitten werden, so wie derzeit zum Beispiel Scrum, Kanban und OKR (Objectives & Key Results). Die Führungsarbeit ist ausgerichtet auf die konsequente Zielsetzung und -verfolgung und entscheidet sich für den Einsatz der grundsätzlich effektivsten Vorgangsweise (Auswahl eines Standards oder Modelles).

Führen und Folgen

Das Erfolgsgeheimnis der Führung in dynamischen Zeiten liegt darin “den Wechsel von Führen und Folgen” richtig praktizieren zu können. Das setzt voraus, dass man zum einen die Zuständigkeit und Verantwortung der eigenen Führungsrolle voll umfänglich kennt und einnehmen kann. Erst dann ist man in der Lage bewusst Führungsaufgaben teilweise oder Einzelaspekte zur Gänze abzugeben. Zum Beispiel durch die Ernennung von Teamleitern, Übertragung einer Projektleitung, Einberufung eines Managementteams. Dafür braucht es zum einen die grundsätzliche Bereitschaft, eigene Überzeugungen und Ideen aufzugeben und Inputs und Lösungsideen anderer anzunehmen. Und zum anderen gilt es, Ausführungen und Umsetzungen zielgerichtet zu übertragen und dafür den eigenen Beitrag zu leisten. Dieser kann inhaltlich sein – in jedem Fall aber ist und bleibt der prozesshafte Trackingteil in der Verantwortung, die Zielerreichung der festgelegten zeitlichen und ressourcenmäßigen Rahmenbedingungen einzufordern. All dies ausgerichtet auf die Unternehmenszielsetzungen und zum Wohle der Mitarbeiter und Kunden!

Individualität vs. Gemeinschaft

Wenn Führen gemäß Punkt 2 gelebt wird, dann gilt es den Experten “ihren Moment” zu ermöglichen. Einerseits, indem man sie intensiv unterstützt sie in ihrem Wunschfachgebiete zum “Mastermind” auszubilden. Nicht um das Erreichen einer persönliche Wissensmacht zu fördern, sondern um die fundierte fachliche Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu gewährleisten. Andererseits lässt man sie “Soli” spielen wie z.B. bei Fachauskünften im Vorstandsmeeting, beim Fachvortrag auf der Uni/beim Kundenmeeting/im Fachtraining bei internen Schulungen etc.

Für eine Entscheidungsfindung fließen ihre Empfehlungen in das Ergebnis ein, geben aber nicht immer den Ausschlag. Dem einseitigen, aber tiefgehenden Expertenblick ist die umfassende Berücksichtigung aller relevanten Aspekte gegenüberzustellen. Dies alles auf das Ziel auszurichten, die im Regelfall Unternehmens- oder Kundenziele sind, sichert die beste Vorgangsweise.

Resümee

Jazz & Leadershipthemen haben in unserer derzeitigen bewegten Zeit vieles gemeinsam. Zusammenarbeiten und Miteinander tauschen Anweisungen und Aufträge ab. Der Spiel-/Gestaltungsraum des Einzelnen ist zu gewähren, um Platz für Eigenverantwortung, Selbstorganisation und persönlichen Purpose zu geben. Und dies alles unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Überlebens und zum Hochgenuss des Kunden. Anspruchsvoll und zeitaufwendig in der Abstimmungsphase – schnell und routiniert in der Umsetzung. Ingredienzen, die es vor allem bei internen Transformationsprojekten in der Umsetzung braucht.

Wir haben wiederholt im Format “Jazz & Leadership” mit Führungskräften gearbeitet, um neue Führungsaspekte und -stile anzuregen und zu verdeutlichen. Die nachhaltige Anwendung im Praxisalltag sichern wir mit unseren praxiserfahrenen Business Coaches durch unmittelbare Reflexionsschleifen.

Hinweis: Bei personenbezogenen Bezeichnungen wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Bezeichnung gewählt.