Stellen Sie sich bitte kurz vor, Sie könnten nicht lesen. Rund 300.000 bis 600.000 erwachsene Österreicher können nicht oder nur unzureichend lesen – genauere Zahlen gibt es dazu nicht. Die Betroffenen sind stark benachteiligt. Der Alltag gestaltet sich ungleich mühevoller, wenn einem die schriftlichen Informationen nicht zugänglich sind: die Bezeichnung der Haltestellen im Bus, Straßennamen, Produktbezeichnungen im Supermarkt etc. Die personenunabhängige Kommunikation ist stark eingeschränkt. Abgesehen davon ist es als Leseunkundiger fast unmöglich einer Arbeit nachzugehen. Man läuft ständig Gefahr als Analphabet entdeckt zu werden und das ist alles andere als angenehm. Genau genommen gilt es in unseren Breitengraden als Schande, nicht lesen zu können. Aber was darüber hinaus entgeht einem eigentlich noch?

Lesen bedeutet informiert sein

Wir leben in einer digitalisierten Welt. Die wirkliche Freiheit unseres Jahrhunderts besteht darin, durch das Internet Zugang zu umfassender Information zu erhalten. Die ganze Welt erschließt sich uns dadurch. Wir können uns politisch und gesellschaftlich unabhängig von unserem engeren Umfeld eine eigene Meinung bilden. Wir lernen fremde Länder und Kulturen kennen, ohne unseren Lieblingssessel verlassen zu müssen. Informationen über profane Dinge des Alltags wie “mein Geschirrspüler spült das Geschirr nicht sauber” sind dank Google und Co genauso schnell zugänglich, wie Ticketreservierungen für Zug und Flugzeug. Und wie würden wir unsere Hotelbuchungen für Urlaubs- und Dienstreisen mittlerweile bewerkstelligen, wenn wir die Online-Angebote nicht lesen könnten. Unglaublich, wie wertvoll das Lesen ist, wenn wir uns es in diesem Zusammenhang vor Augen führen.

Lesen bedeutet Zugang zu Bildung zu haben

Egal zu welcher Lebenszeit, Lesen ist die Grundvoraussetzung für Bildung – egal ob im Schulsystem, bei der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, bei Fernstudien oder Universitätsbesuchen. Wissen erschließt sich uns vor allem über das Lesen. Und jedes gesprochene Wort eines Vortrages oder einer Lehrveranstaltung ist durch Text ergänzt. Zum Lesen gesellt sich das Schreiben. Beides nicht ausreichend zu können schränkt uns in unseren Ausdrucksformen und -möglichkeiten stark ein.

Lesen bedeutet Entspannung

Wer kennt diesen wohltuenden Ausgleich nach einem fremdgesteuerten Arbeitstag ein Buch zu lesen nicht? Sich aus der umgebenden Welt auf sich zurückziehen, das eigene Tempo leben, sich auf etwas Neues einlassen zu können – die Zeit der Umgebung wird unbedeutend. Die innere Zeit wird bestimmend und lässt uns alles um uns herum vergessen. Das ist Entspannung pur!

Lesen bedeutet Kino im Kopf

Wenn nun das Lesen gar einen Stoff umspannt, der fern den beruflichen Inhalten ist – Romane, die das Leben anderer beschreiben, vielleicht sogar in fernen vergangenen oder zukünftigen Zeiten – dann entsteht Kino im Kopf. Charaktere bekommen ein Aussehen, ganze Welten entstehen vor dem geistigen Auge und Emotionen werden wach gerufen. Ein derartiges Abdriften garantiert Tiefenentspannung. Eine wunderbare Erholungsmöglichkeit in stressigen Zeiten. Dazu braucht man sich nicht in ferne Länder zu begeben, Bücher liefern sie uns prompt ins Haus. Und wie plastisch und intensiv wir derartige Kopfkinos in Erinnerung behalten, können wir spätestens dann wahrnehmen, wenn eines unserer Lieblingsbücher tatsächlich als Film in die Kinos kommt. Die Möglichkeit der Enttäuschung ist groß. Denn die tatsächliche Verfilmung folgt den Vorstellungen des Regisseurs, der Schauspielkunst der Akteure, den physischen Möglichkeiten der Stuntmen sowie den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit. Und das alles läuft Gefahr mit unserer kreativen Vorstellungskraft nicht mithalten zu können.

Lesen gestern und morgen

Bevorzugen Sie noch immer zum Lesen ein Buch? Weil das Lesen dadurch auch ein haptisches Gefühl vermittelt? Oder einfach nur aus praktischen Gründen, weil man hin- und herblättern kann, um Passagen zu suchen und auch schnell wieder zu finden! Oder bevorzugen Sie einen Reader – als eigenes Gerät oder einfach nur ein App auf Ihrem Tablet? Tablets und Reader sind beim Reisen in jedem Fall praktischer, weil Bücher im Koffer eine Menge Platz beanspruchen oder das Gewicht in die Höhe treiben. Bücher haben hingegen den Vorteil, dass man nicht Gefahr läuft, dass gerade dann, wenn es spannend ist, der Akku sich verabschiedet. Und noch hat nicht jeder Strand oder jedes Freibad eine Steckdose zum Aufladen in bequemer Reichweite. Und Lesen morgen – werden wir uns das Vergnügen nehmen lassen? Durch Vorlesen von Roboter? Hoffentlich nicht, denn der Rückzug mit einem guten Buch/oder Reader in der Hand und das Abtauchen in fremde Welten sollten wir uns noch sehr lange erhalten.

Hinweis: Bei personenbezogenen Bezeichnungen wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Bezeichnung gewählt